Zum allgemeinen Verständnis der damaligen Ereignisse in Kühnhaide ist es erforderlich, die Entwicklungen innerhalb der protestantischen Kirche in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg und besonders zu der Zeit der Machtergreifung Hitlers ins Gedächtnis zurückzurufen.
Schon während der 1. Weltkrieg noch in ganz Europa tobte, gab es innerhalb der protestantischen Kirche in Deutschland verschiedene Bestrebungen und Strömungen zur Bildung einer zentralistisch gelenkten Staatskirche mit nationalistischem, revanchistischem und rassistisch-antisemitischem Hintergrund. 1917, zum 400-jährigen Jubiläum der Reformation, wurden unter Leitung des Pastors Friedrich Andersen 95 Thesen verfasst, die ein „Deutschchristentum auf evangelischer Grundlage“ begründen sollten. In einem Aufruf zu den angesetzten Kirchenwahlen im Juli 1933 nannte man die Deutschen Christen „die SA Jesu“. Von nun an, und ganz besonders nach dem Machtantritt Hitlers, bekam diese „Partei“ einen sehr großen Zulauf. Erst nachdem das ganze Programm der Deutschen Christen richtig bekannt wurde, wurde diese Partei von vielen Tausenden wieder verlassen. Die bisher mehr oder weniger locker an die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) gebundenen Landeskirchen wurden auf Betreiben Hitlers und seiner Helfer einer nach dem Führerprinzip gestalteten Reichskirche unterstellt, mit einem Reichsbischof Ludwig Müller an der Spitze. Seine erste Bischofspredigt stand unter dem Motto „Ein guter Hirte ist uns geschenkt worden“, damit war natürlich Adolf Hitler gemeint.
Das Programm der Deutschen Christen bestand im Wesentlichen in der
- Gleichschaltung der DEK und Schaffung einer nach dem Führerprinzip gelenkten Reichskirche
- Ausschluss der Judenchristen
- Entjudung der kirchlichen Botschaft durch Abkehr vom Alten Testament,
- Reduzierung und Umdeutung des Neuen Testaments
- Reinhaltung der germanischen Rasse durch Schutz vor Untüchtigen
- Vernichtung des volksfeindlichen Marxismus und
- Einführung des Arierparagrafen für Geistliche und Beamte der Kirche.
In dieser Situation trat der Superintendent der Frauenkirche Hugo Hahn diesem Treiben entgegen. Bereits in seiner Pfingstpredigt 1933 von der Kanzel der Frauenkirche bezeichnete er die regimetreuen Deutschen Christen als „Ärgernis in der Kirche“. Nach dem Treiben Cochs (Anführer der Deutschen Christen in Sachsen) gründete Hahn im September 1933 den „Pfarrernotbund“, bezeichnete Coch als Irrlehrer und sprach ihm jede geistliche Führung ab. Auf Betreiben Cochs wurde Hahn verhaftet; nach wenigen Tagen wieder entlassen, begann Hahn nun den Aufbau der „Bekennenden Kirche“. Die erste Sächsische Bekenntnissynode fand unter Leitung Hahns im September 1935 statt. Danach lenkte der Staat plötzlich ein, Coch wurde entmachtet und im Landeskirchenausschuss konnten auch wieder Pfarrer der Bekennenden Kirche Platz nehmen. Das Treiben der Deutschen Christen wurde bis in die letzte Gemeinde spürbar.
In dieser schweren Zeit der innerkirchlichen Machtkämpfe trat nach über dreijähriger Verwaisung (Pfarrer Krause verließ am 23. Februar 1930 Kühnhaide) Pfarrer Alexander Reisner aus Chemnitz seinen Dienst in Kühnhaide an. Er hielt am 28. Mai 1933, Sonntag Exaudi, seine Antrittspredigt.
Die politische Entwicklung in Deutschland machte um Kühnhaide keinen Bogen. Die Zeit des Kirchenkampfes brachte für die Gemeinde eine Zeit der Bewährung. Die Gemeinde wuchs zusammen als in den Jahren 1934/35 den Gläubigen der Zutritt zur Kirche verwehrt wurde und sie sich auf den Fluren vom Kirchvorsteher und Volkskünstler Alwin Timmel bei den „Vier Höfen“ zu Feldgottesdiensten zusammenfanden. Zeitweilig gab es zwei sich bekämpfende Pfarrer: den vom Staat eingesetzten „Deutschen Christen“ in der Kirche und den Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ Reisner im Freien. Leider konnte der Name des Deutsche-Christen-Pfarrers und dessen Herkunft nicht mehr in Erfahrung gebracht werden. Ein treuer Gehilfe dieses Pfarrers war der Lehrer Nitzsche. Zum ersten Gottesdienst unter Leitung dieses Pfarrers sollen lediglich 3 Personen erschienen sein. Sie müssen sich ja ziemlich verloren vorgekommen sein.
Reisner musste dem Superintendenten der Frauenkirche, Hugo Hahn, sehr nahe gestanden haben und war natürlich ein Anhänger und Vertreter der „Bekennenden Kirche“ in Kühnhaide. Er sammelte viele Gemeindemitglieder um sich, auch von Reitzenhain und Rübenau, und erstellte eine Mitgliederkartei. Die Mitgliedskarten bestanden aus zwei Teilen, ein Teil wurde im Pfarramt aufbewahrt und ein Teil erhielt das Mitglied. Im Pfarrarchiv befinden sich 188 Kühnhaidner, 121 Reitzenhainer und 211 Rübenauer Mitgliedskarten. Es kann dabei davon ausgegangen werden, dass nur ein Teil der Kirchenmitglieder karteimäßig erfasst wurden. Der andere Teil gehörte keineswegs den Deutschen Christen an, sondern es dürfte sich um die Mitglieder gehandelt haben, die nur wenig die Gottesdienste besuchten und sich deshalb keine Mitgliedskarte ausstellen ließen. Die Tatsache, dass auch die Reitzenhainer und Rübenauer Mitgliedskarten im Kühnhaidner Pfarrarchiv liegen, spricht dafür, dass Herr Pfarrer Reisner auch dort sehr aktiv für die Bekennende Kirche geworben hat und auch Gottesdienste abgehalten haben muss. Die Mitgliedskarte des Kirchvorstehers und Volkskünstlers Konrad Timmel (3. Sohn von Alwin Timmel) ist noch im Besitz der Familie Timmel/Seerig dort, wo einst die Gottesdienste stattfanden. Die Besonderheit dieser Karte ist die eigenhändige Unterschrift Hugo Hahns, des Initiators der Bekennenden Kirche. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Hahn mindestens einmal in Kühnhaide an so einem Gottesdienst teilnahm.
Als Nachbemerkung zu den Ereignissen in Kühnhaide wäre noch folgendes zu erwähnen: Aus dem vorliegenden Protokollbuch über die Kirchenvorstandssitzungen jener Zeit konnte über die Vorgänge und Ereignisse nichts entnommen werden. Lediglich unter „Allgemeines“ erscheint einige Mal der Vermerk: „Es wurde über die Lage der Kirche gesprochen“ – Ende der Eintragung –. Heute können selbst die ältesten Einwohner auf Befragen nichts mehr Genaueres berichten. Es ist anzunehmen, dass Pfarrer Reisner verstärktem Druck vor allem auch durch die örtlichen Organe der NSDAP ausgesetzt war. Er stellte wohl deshalb sein Amt zur Verfügung.
Zur Sitzung des Ortskirchenausschusses (OKA) am 24. Mai 1935 wurde von einer Neuausschreibung der Pfarrstelle gesprochen. Daraufhin wurde Freifrau von Wöhrmann als Patronin der Kirche Kühnhaide intern darum gebeten, in einem Schreiben an den OKA, Pfarrer Reisner als einzigen Kandidaten vorzuschlagen und wiederzuwählen. In dieser Form wurde Pfarrer Reisner vom OKA als ständiger Ortspfarrer von Kühnhaide wiedergewählt. Diese Schwierigkeiten hatte Pfarrer Reisner zusätzlich zu seinen normalen Aufgaben als Ortspfarrer zu bewältigen.
Die noch unter Pfarrer Büttner von Rübenau begonnene Generalreparatur der Kirchenheizung, mit einem Kostenaufwand von rund 600 RM, konnte im November 1933 abgeschlossen werden.
Ein weiteres großes Problem war die Beschaffung und die finanzielle Absicherung einer neuen Orgel. Die alte Orgel war seit 1929 verstummt und wurde durch ein Harmonium ersetzt. So unternahm Pfarrer Reisner Anfang 1934 erste Schritte zur Beschaffung einer neuen Orgel und bereits ein Jahr später, am 29. April 1935, wurde die neue Orgel von der Fa. Schuster & Söhne – Zittau übergeben. Dabei ist das alte Orgelgehäuse beibehalten worden. Der Gesamtaufwand belief sich auf rund 12.000 RM.
Die Kirche Kühnhaide wurde 1937 unter Denkmalschutz gestellt (Protokoll des Ortskirchenausschusses vom 5. November 1937).
In der Sitzung am 9. Februar 1940 wurde beschlossen, das Gutachten über die Kirchenerneuerung von Dr.-Ing. Laudeley an das Bezirkskirchenamt als Antrag zu geben. Die umfassende Erneuerung der Kirche, die mit 34.400 RM veranschlagt war, sollte bis zum 250-jährigen Kirchenjubiläum im September 1941 ausgeführt sein. Durch den Krieg konnte diese Maßnahme nicht in Angriff genommen werden.
Am 1. März 1940 leitete Pfarrer Reisner letztmalig eine Sitzung des Ortskirchenausschusses. Danach wurde er zur Dienstleistung ins Diakonissenhaus nach Dresden abgeordnet.
Die nächste Sitzung am 16. März 1940 leitete der stellvertretende Superintendent Pfarrer Kircheis aus Pobershau. Mit Billigung des Landeskirchenamtes übernahm Herr Karl Johannes Wohlgemuth als Vikar vorläufig die Vertretung in Kühnhaide. Pfarrer Wohlgemuth wurde 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Nach seiner zweiten Verwundung war er wieder in Kühnhaide tätig und wurde am 23. November 1943 ständiger Pfarrer in Kühnhaide. Im Jahr 1944 erfolgte eine erneute Einberufung zum Militär. Erst im September 1945 ist er aus der Gefangenschaft zurückgekehrt.